Carlo Degen: Schauspielerei als Predigt

Carlo Degen, privat, fotografiert von Patryk Witt

Der smarte Typ mit den braunen Wuschelhaaren ist seit Juni 2013 (und leider nur noch bis zum 20. Mai 2014) jeden Abend in der Fernsehserie »Alles was zählt« zu sehen. Dort spielt Carlo Degen den Nachwuchsfußballer Joscha Degen, der unter einem enormen Druck steht. Denn er ist das, was man(n) als Fußballer eigentlich nicht ist: homosexuell. Wir haben Carlo in einem Kölner Restaurant getroffen und mit ihm über die Schauspielerei, seine aktuelle Rolle und seinen Glauben gesprochen. Denn Carlo ist selbst ein ehemaliger teensmag-Leser.

 

teensmag: Was gefällt dir am Schauspielen?

Carlo: Man kann in Figuren hineinschlüpfen und beschäftigt sich durch die Rolle mit Dingen, die sonst nicht in seinem bisherigen Horizont waren. Du begibst dich in verschiedene Welten. Ich kann ein Pilot sein oder ein Autist. Es passiert sicherlich nicht immer, aber ich wünsche mir, dass ich durch mein Spiel Menschen ansprechen und zum Nachdenken anregen kann.

 

Zur Zeit spielst du in der Serie »Alles was zählt« einen homosexuellen Fußballer. Was möchtest du durch die Figur Joscha Degen vermitteln?

Auch, wenn ich die Rolle nicht verfasst habe, sondern sie lediglich verkörpere: An Joscha kann man lernen, dass man sich nicht verstecken soll. Es gibt nichts Schlimmeres, als nicht dazu zu stehen, wer man ist. Deswegen hat Joscha solche Aggressionen – er weiß sich selbst nicht zu helfen. Ich bin Christ und ich bin schon davon überzeugt, dass Mann und Frau zusammengehören. Aber ich habe die Rolle auch angenommen, weil ich denke, dass Gott jeden Menschen liebt. Und ich glaube, es ist nicht richtig, zu sagen: ‚Ich weiß nicht, was es ist. Ich empfinde so und so, aber ich darf es nicht äußern.’ Und ich bekomme auch Nachrichten von Homosexuellen, die in derselben Lage waren oder sind. Die finden das toll, dass man zeigt, wie schwierig dieses Leben ist, wenn man nicht zu sich stehen kann. Das ist für mich ein Wert: Erstmal zu dem Menschen hinzugehen und ihn so anzunehmen, wie er ist. Für Alles, was danach kommt, ist sowieso Gott zuständig. Nur er versteht den Menschen ganz und gar in seiner Komplexität.

 

Welche Spielszenen machen dir besonders viel Spaß?

Alles, was ein bisschen ins Extremere geht oder ein Streit, das macht auch Spaß. Oder wenn man eine schlechte Nachricht bekommen hat und getroffen ist. Da geht es auf einmal um etwas Existenzielles. Bei Joscha reizt mich, zu spielen, dass er eigentlich die ganze Zeit lügt. Dadurch lebt er in zwei Parallelwelten: Einmal der Hetero-Fußballer, der sich unter keinen Umständen outen darf – und dann ist er aber eigentlich ein sensibler Kerl, der Nähe und Liebe braucht. Mir haben auch die Szenen im Krankenhaus gefallen, als ich nach meinem Outing zusammengeschlagen wurde (lacht).

 

Wärst du mit Joscha befreundet?

Ich denke, wenn ich Fußballer wäre, auf jeden Fall. Ich mag an ihm, dass er ehrgeizig ist. Er liebt den Sport. Natürlich lügt er viel – aber eigentlich will er das gar nicht. Er zwingt sich dazu. Im Grunde genommen ist er eine nette Persönlichkeit, die es gut meint, obwohl er oft sehr aggressiv ist durch seine Lebenssituation.

 

Fühlst du das dann selber in dem Moment – die Angst, den Druck, den Joscha erlebt?

Ich glaube, man kann eine Emotion nicht spielen. Natürlich kannst du dich konzentriert und ruhig in die Situation hineinversetzen; es gibt dafür verschiedene Techniken. Mir hilft es, Musik zu hören, die mich in eine bestimmte Stimmung bringt. Die Emotion allerdings entsteht beim Zuschauer, nicht bei mir. Mein Part ist es, dieser Gefühlsbildung nicht im Weg zu stehen und etwas so authentisch wie möglich zu verkörpern. Wenn du zum Beispiel mit dem Blick ausweichst und überlegst, kannst du dabei die Gardine ansehen und mit den Augen das Muster durchgehen. Dann bewegt das Auge sich leicht und der Zuschauer sieht: ‚Der überlegt!’ Aber vielleicht zählt der Schauspieler in dem Moment einfach nur die Karos. Dadurch entsteht Emotion.

 

Was bist du denn privat für ein Mensch?

Ich bin hauptsächlich extrovertiert, humorvoll, aktiv, andererseits habe ich aber auch eine introvertierte Seite und habe Phasen, in denen  ich mehr nachdenke. Ich brauche beides – Action, den Sport, aber auch wieder Besinnung.

 

Was machst du dann zur Besinnung?

Das ist ein Thema, mit dem ich immer wieder konfrontiert werde, da ich von Natur aus eher dazu neige, zu viel zu tun und schwer entspannen zu können. Joggen zu gehen, hilft dann. Durch das viele Drehbuchlernen inspiriert mich ein guter Film im Alltag mehr als ein Buch. In Berlin gehe ich in meine Gemeinde, höre mir Musik an, gehe spazieren, besuche Ausstellungen. In Köln, wo ich unter der Woche arbeite, nimmt mich die Arbeit stark unter Beschlag.

 

Spielt dein Glaube eine Rolle, während du schauspielst?

Ich wäre kein Christ, wenn es nicht so wäre. Aber ich empfinde es auch als die wahrscheinlich größte Herausforderung in meinem Beruf, dass ich mir eben nicht aussuchen kann, welche Werte  ich in welchen Inhalten vermittle. In Zukunft möchte ich mehr an Projekten beteiligt sein, die sich konkret mit dem Glauben auseinandersetzen, um auf diese Weise Leute anzusprechen. Das ist wie eine Predigt eigentlich. Man hat auch Worte, aber man spielt das. Ich sehe da meine Eltern und Freunde als Vorbild, wie man in unserem Zeitalter die Schauspielkunst mit dem Glauben verbinden kann.

Mein Vater zum Beispiel ist auch Schauspieler, meine Mutter ebenso in der Branche. Sie haben das Freie Theater Berlin gegründet, reisen jetzt durch ganz Deutschland und geben Workshops und Seminare in christlichen Zentren. Ich habe auch schon mit meinem Vater zusammen gespielt, auf Kongressen wie Pro Christ und Spring. Und dann kommt manchmal hinterher der Leiter oder Pfarrer zu ihm, der das Theaterstück vorher als Unterstützung für seine Predigt ansah, und sagt: ‚Eigentlich muss ich gar nicht mehr predigen – es steht für sich.’ Das ist in meinen Augen das Besondere, das Schöne. Das kann man nicht immer machen. Bei einem Format wie AWZ (»Alles was zählt«, Anm. d. Red.) habe ich leider nicht diese Möglichkeiten, als wenn ich frei und selbstständig arbeiten würde.

 

Liegt es an deinen Eltern, dass du Schauspieler geworden bist?

Ja und Nein. Erstmal wollte ich gar kein Schauspieler werden. Ich war auf einer Sport-Leistungsschule und wollte Tennis spielen. Ich habe aber eine Knieentzündung bekommen und musste aufhören. Die Welt ist damals für mich zusammengebrochen. Durch meine Eltern habe ich viel von der Schauspielerei mitbekommen, war oft auf Seminaren, habe auch als Kind ein bisschen gespielt – habe mich dann aber auch wieder klar davon distanziert. Ich wollte einfach nicht in die Fußstapfen meiner Eltern treten. Ich bin dann auf eine Wirtschaftsschule gegangen, habe aber schnell gemerkt, dass ich nicht Wirtschaft studieren will. Und dann habe ich doch ein Schauspiel-Projekt angenommen und mich gefragt, warum ich mich eigentlich die ganze Zeit gegen das Schauspielen wehre. Ich habe mich an Schauspielschulen beworben und wurde gleich genommen. Es haben sich die ganze Zeit Türen geöffnet. Und als ich mein Studium abgeschlossen hatte, kam direkt das Angebot von »Alles was zählt«. Da hatte ich das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein.

 

Sprichst du im Job von deinem Glauben?

Ich erzwinge kein Gespräch darüber. Wenn es soweit kommt, dass es so privat wird, habe ich kein Problem, davon zu erzählen. Ich verstecke meinen Glauben nicht. Natürlich gehört manchmal Mut dazu, aber ich möchte das, was mir wichtig ist, über mich, aber auch über meine Schauspielerei vermitteln. Das ist sozusagen meine gespielte Predigt.

 

Kannst du denn als Schauspieler einen Film schauen, ohne dass du die ganze Zeit analysierst?

Das ist schwierig, weil man natürlich gleichzeitig guckt: ‚Wie macht der das?’ oder ‚Was kann ich mir abgucken?’. Manchmal muss man das wirklich bewusst beiseite lassen und einfach nur zuschauen. Aber wenn der Film dich wirklich trifft und fesselt, vergisst du das manchmal. Das ist ein Geschenk.

 

Als Schauspieler achtest du bestimmt auch anders auf deine Gestik und Mimik. Tust du das auch im Alltag mehr?

Ja, durch die Schauspielschule entwickelst du ein ganz anderes Körperbewusstsein. Du lernst viel über Körpertraining, Tanz, Akrobatik und Bewegung. Du spielst ja eine Figur und jede Figur ist anders in ihrer Körperhaltung. Die einen machen mehr einen Buckel, andere stehen aufrecht und wieder andere sehr steif. Wenn du eine Figur entwickelst, kannst du dir auch als Vorlage ein Tier nehmen und das langsam zum Menschen formen. Natürlich beobachte ich mich auch privat selbst. Aber vor allem beobachte ich oft andere Menschen. Man kann viel lernen, indem man sich einfach irgendwo hinsetzt und zuguckt. Und dann denkt man: ‚Das ist ein interessanter Mensch, so, wie er sich bewegt und wie er spricht.’ Und dann kannst du dir davon etwas »picken« und von einem anderen Menschen »pickst« du dir auch etwas. Du klaust von anderen und kreierst so eine Figur.

 

Du wirst sicherlich häufig auf der Straße erkannt. Was ist das für ein Gefühl für dich?

Es ist manchmal unangenehm und manchmal erfreulich. Wenn ich meine Ruhe haben möchte, verstecke ich mich unter einer Kapuze und mit einer Sonnenbrille, aber man wird trotzdem oft erkannt – das muss man als Schauspieler einfach wissen. Abgesehen davon ist es aber auch teilweise lustig: Die eine kreischt rum, wenn sie dich sieht, die andere tuschelt, manche gucken nur. Das ist irgendwie immer noch verrückt. Es gibt Situationen, in denen du irgendwo unterwegs bist und dich jemand dann schon fast umarmt: ‚Bist du nicht der …?’ Das ist dann zu viel, ja. Aber wenn die Leute die Serie jeden Abend in ihrem Wohnzimmer gucken, haben sie natürlich eine Bindung zu dir. Man kennt denjenigen, denkt man. Aber man kennt nur die Figur, nicht den Menschen an sich.

 

Vielen Dank für das Gespräch.

 

_Verena Flaig * stars nach gott gefragt

2 Kommentare
  1. Richard Moosheer sagte:

    Dieser Beitrag ist problematisch für Teenager. Degen fordert homosexuell empfindende Menschen zu einem Outig heraus. Da es in der Teenagerzeit durchaus sein kann, dass die sexuelle Identität noch nicht ganz festgelegt ist und da es Teenager mit Phasen homoerotischer Empfindungen gibt, ist eine empfohlenes Outing problematisch, da es dann eben zu einer Fixierung in Richtung Homosexualität kommen kann, die es ohne frühes Outing vielleicht nicht gäbe. Siehe hier die wichtige Stellungnahme dazu im Papier der Schweizerischen Evangelischen Allianz: “Zwischen Annahme und Veränderung – Christlicher Glaube und gleichgeschlechtliche Orientierung, Ein Arbeitspapier der Schweizerischen Evangelischen Allianz, SEA Dokumentation, Arbeitspapier Nr. 93”, S. 9-10. Im Internet auf der Hompage der SEA abrufbar

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    • Leyla Navic sagte:

      @Richard Moosheer: Ich finde nicht, dass Carlo zu einem Outing herausfordert. Ganz im Gegenteil. Er vertritt die Überzeugung, dass Mann und Frau zusammengehören. Er sagt hier, wir sollen nicht mit Hass den homosexuellen Menschen begegnen, sondern sie lieben – weil Gott sie liebt. Ich finde wichtig, dass gerade in dieser Zeit christliche Teenager das als Maßstab wissen: Wir sollen nicht das lieben, was Homosexuelle tun, aber wir sollen sie als Mensch lieben. Guter und Wichtiger Artikel!

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