In der TEENSMAG-Ausgabe 5/15 beschreibt Magdalena Reeh, wie es ihr ergangen ist, als sie eine Woche lang bewusst voll Liebe für ihre Mitmenschen ihren Alltag lebte. Das wollen wir anderen Teamer ihr natürlich gerne nachmachen. Deshalb findet ihr hier jede Woche einen neuen Eintrag eines Teamers, der über seine Erfahrungen im Projekt: Eine Woche lang Nächstenliebe leben, berichtet. Schließt du dich uns an?

Woche 1: Ecki Graumann fragt sich: Muss ich Nächstenliebe eigentlich planen, oder fügt sich das auf göttliche Weise?

Tag 1: Der Tag lief so dahin. Arbeit, Arbeit, Arbeit. Abends hab ich dann zum Handy gegriffen und einen Freund angerufen, der gerade eine herausfordernde Zeit hat. Er hat sich sehr gefreut. Mir hat es auch gut getan.

Tag 2: Seit Langem habe ich einem Studienfreund zugesagt, dass ich ihm beim Umzug helfen werde. Habe ich auch gemacht. Praktisches Anpacken ist sicher eine Form von Nächstenliebe. Und mal abgesehen von der Waschmaschine, ist körperliche Arbeit eine gute Abwechslung zum Schreibtisch. Auf der Rückfahrt habe ich noch einen anderen Umzugshelfer im Auto mitgenommen. Ich habe ihn in meine Kirchengemeinde eingeladen.

Tag 3: An dem Tag habe ich nicht viel mit anderen Menschen zu tun gehabt. Ich saß viel am Schreibtisch und habe an meinen Vorträgen für die kommende Freizeit gearbeitet. Zwischendrin habe ich meinen Mitbewohner vollgepredigt, um zu testen, ob die Beispiele funktionieren. Ich sage mal so: Wir haben beide davon profitiert.

Tag 4: Ein Reisetag. Mit vollgepacktem Auto bin ich zum Zeltlager angereist. Von den vielen neuen Namen der Mitarbeiter bin ich schon etwas überfordert. Trotzdem nehme ich mir Zeit fürs Reden und miteinander am Feuer sitzen. Schön wars. In Zeiten wie diesen fällt Nächstenliebe leicht.

Tag 5: Anreise der Teilnehmer. Jetzt beginnt die Freizeit richtig. 130 Kinder im Alter von 9-12 Jahren bevölkern das Gelände. Jede und jeder mit seiner eigenen Geschichte, Bedürfnissen und Erwartungen. Nächstenliebe zu üben, heißt für mich heute konkret: Namen lernen, Fußballspielen, loben und am Abend auch predigen.

Tag 6 und folgende: Wie das so auf einer Freizeit ist, die Tage verschwimmen ineinander. Auch hat der Selbstversuch nicht immer die oberste Priorität. Rückblickend waren die Tage auf dem Camp trotzdem voller Übungen der Nächstenliebe: Aufeinander Rücksicht nehmen, trotz Müdigkeit und Hitze. Oder beim Fußballspielen, die Kinder das entscheidende Tor schießen lassen. Und mein Fazit lautet: Nächstenliebe bockt, nächste Woche gehts weiter!


Woche 2: Eva Paetzold bastelt Postkarten und verschickt sie in alle Welt

Den Gedanken hatte ich schon lange: Dass  ich mich bei so vielen Menschen viel zu lange nicht gemeldet hab. Bei meiner Großtante, bei der Familie, für die ich jahrelang Babysitter war, bei meiner Querflötenlehrerin aus der Schulzeit, … Die Liste war lang. Menschen, die ich früher wöchentlich gesehen hab und die dann irgendwie von meiner Bildfläche verschwunden sind oder ich von ihrer. Manchmal, vorm Einschlafen, fallen mir plötzlich diese Menschen ein und ich zucke ein bisschen zusammen, weil ich so lange kein Lebenszeichen von mir gegeben hab. Diese Leute wissen nicht mal, wo ich jetzt wohne, was ich studiere, dass ich ihnen so dankbar bin, dass sie mir z. B. Querflöte spielen beigebracht haben.

Also hab ich mir für diese Woche Nächstenliebe vorgenommen, mich bei all den Leuten zu melden, bei denen ich mich nie melde. Erst war ich unsicher, ob das wirklich Nächstenliebe ist, aber es ist Investition in die Beziehung, es ist Danke sagen, es sind Komplimente, Ermutigung und Segenswünsche, die ich verschicke, deswegen finde ich, kann man es gelten lassen.

Ich machte also eine Liste von Menschen und schrieb in 5 Tagen 25 Postkarten: in das Dorf meiner Eltern, in die Stadt, in der ich zuletzt gewohnt hab, nach Frankreich und quer durch die Bundesrepublik.

Die Karten hab ich selbst gebastelt und mir für jeden etwas überlegt. Dann ging es an den Text: Bei manchen wars ganz einfach, bei anderen saß ich lange vor der weißen Postkartenrückseite, was schreibt man jemanden, den man vor 5 Jahren zuletzt gesehen hat? Bei anderen war es mir richtig unangenehm, es fühlt sich manchmal einfacher an, sich nicht zu melden und ich bekam Zweifel! Vielleicht hat sie ja alles vergessen, was wir zusammen erlebt haben, vielleicht weiß er gar nicht mehr, wer ich bin. Wenn ich mich jetzt groß bedanke, ist das nicht auf eine Art und Weise peinlich?

Nächstenliebe kann ganz schön nervenaufreibend sein!

Aber Zeit dafür haben, an die Menschen zu denken, die ich im Leben kennengelernt hab, war irre. Mir wurde plötzlich klar, wie viel ich schon gelebt hab und dass ich viele tolle Sachen anderen Menschen verdanke. Ich hoffe, die Empfänger haben sich gefreut, wurden ermutigt oder gestärkt, oder auch einfach nur überrascht. Ja, ich hoffe, sie haben sich total gewundert und sich dann leise lächelnd erinnert. Vielleicht kommt von dem ein oder anderen ja auch eine Antwort, wir werden sehen.


Woche 3: Lisa Dauth stellt fest, dass sie Nächstenliebe in kleinen Aktionen üben kann

Sonntag

Abends bin ich mit einer Freundin zum Telefonieren verabredet. Sie hat schon die ganze Woche gefragt, wann es in meinen Terminplan passt. Obwohl ich müde bin und mich lieber sanft vom Wochenende verabschieden möchte, behalte ich das Telefon in Griffnähe. Ich weiß, dass es ihr gut tut, wenn ich ihr einfach zuhöre. Am Ende habe ich selbst nicht viel gesagt, konnte ihr aber einen Rat geben, den sie sich gewünscht hatte. Es beschämt mich, dass sie mir am Ende sagt, wie sehr sie unsere Freundschaft schätzt. Ich bin froh, dass ich mir die Zeit genommen habe.

Montag

Die Johannisbeeren im Garten sind reif und müssen schnell ab, damit sie nicht vergammeln. Aber wohin mit so viel Mini-Obst? Einen Teil werfe ich in leckeren Teig und backe daraus Muffins. Viele Muffins. Weil ich weiß, dass (fast) alle Mitmenschen auf die kleinen Kuchen stehen, verteile ich sie großzügig. Alleine könnte ich sie sowieso nicht essen. Die Nachbarn bekommen jeweils ein Exemplar – schließlich habe ich unseren gemeinsamen Strauch abgeerntet. Und die Arbeitskollegen sollen auch nicht leer ausgehen. Beim Verteilen freuen sich alle über die Überraschung: So arbeitet sich der Nachmittag leichter.

Dienstag

Eine alte Freundin (damit meine ich nicht nur die Dauer unserer Bekanntschaft) ist oft einsam. Heute will ich ihr das Gefühl schenken, nicht alleine zu sein. Darum schreibe ich ihr eine Postkarte – dafür muss sie nicht Geburtstag haben oder Weihnachten feiern.

Mittwoch

Langer Abend in der Küche: aufräumen, spülen, aufräumen, kochen, wieder spülen, noch mal aufräumen. Und dann mache ich noch einen zusätzlichen Salat, obwohl schon alles sauber glänzt. Mein Mann hat mich so lieb darum gebeten.

Donnerstag

Am Morgen hat mich eine Kollegin gefragt, ob sie heute bei mir übernachten könnte. Ihr Fahrrad hat den Geist aufgegeben und die Wegstrecke dauert sehr lange, wenn man sie zu Fuß meistern muss. Von meiner Wohnung aus kann sie zur Arbeit laufen und könnte eine Menge Zeit sparen. Na gut, dann kaufe ich eben noch ein bisschen Obst und Joghurt ein, damit das Frühstück am Freitag für eine Person mehr reicht.

Freitag

Es regnet und stürmt, als ob der August lieber ein Herbstmonat wäre. Bevor ich zur Arbeit gehe, schneide ich einen Teil meiner Wassermelone in mundgerechte Stücke. Am Arbeitsplatz richte ich sie im Flur an, damit alle, die mit Regenstimmung vorbeilaufen, ein Stück Sommer mitnehmen können. Mir macht es Spaß zu sehen, wie die Schale immer leerer wird und die überraschten Gesichter mehr werden.

Samstag

Heute denke ich darüber nach, welcher meiner Freunde eine ermutigende Botschaft gebrauchen könnte. Und: tatsächlich fällt mir jemand ein. Eine Freundin ist seit wenigen Wochen im Ausland unterwegs und macht sich Sorgen, weil sie eine Wohnung finden muss. Sie kann eine starke Zusage gut gebrauchen. Schnell ist der richtige Bibelvers gefunden. Inhaltlich füge ich noch eine Kleinigkeit hinzu, damit er perfekt auf ihre Situation passt. Außerdem deute ich den dazugehörigen Bibelvers aus Matthäus 6 mit einem gezeichneten Raben an. Ich bin sicher, sie wird verstehen, was ich sagen will. Gleichzeitig zweifle ich an der Idee – vielleicht wird sie es albern finden? Trotzdem fotografiere ich die Zeichnung und schicke sie per WhatsApp in die USA. Kurze Zeit später erreicht mich eine fröhliche Antwort aus dem Ausland! Sie ist überwältigt von dem kleinen Gruß und bedankt sich überschwänglich dafür, dass ich an sie gedacht habe. Toll, dass ein gut gemeinter, mutig ausgeführter Gedanke so viel Gutes tun kann.



Woche 4: Verena Flaig spricht eine Woche lang die fünf Sprachen der Liebe

Das Ziel meiner Challenge: Ich will anderen zeigen, dass ich sie lieb habe – und selber dazu lernen: Was braucht es, dass ein Mensch sich geliebt fühlt? Was gibt es noch für Möglichkeiten, zu lieben? Deshalb schnapp ich mir mein 5 Sprachen der Liebe-Buch (Wer‘s nicht kennt – unbedingt lesen!) und lege los: Jeden Tag eine andere Liebessprache …

Tag 1. Liebessprache: Ich helfe dir

Die Schwester meines Freundes ist zu Besuch und ich zeige ihr, wie sie einen Schweinchen-Stempel für die Hochzeitsdeko ihrer Freundin selber schnitzen kann (weil der Bräutigam die Braut immer liebevoll „mein Schweinchen nennt. Sehr charmant :-)). Sie ist total dankbar und ich freu mich, dass wir dabei so ein lustiges Gespräch haben.

 Tag 2. Liebessprache: Körperliche Nähe

Mein Patenkind ist zu Besuch und auf unserem Ausflug rücken wir drei ganz eng zusammen wie kleine Vögelchen im Nest. Schön kuschelig! Er mag es gern, wenn ich durch seine Haare wuschel – und ich mag es, wenn wir uns gegenseitig Bilder auf den Rücken malen und der andere raten muss, was gemalt wurde. Und wenn er beim Laufen nach meiner Hand greift.

Tag 3. Liebessprache: Lob und Anerkennung

Meine Freundin und ich bestempeln Küchenhandtücher mit Stoffmalfarbe. Da kommt sie auf die Idee, ihre Lieblings-Sätze in die Handtuch-Karos zu schreiben. Genial, oder? Hab ich ihr auch gesagt. Und sie gefragt, ob ich ihr nachmachen darf. Durfte ich gerne!

Tag 4. Liebessprache: Ich schenke dir was

Eine Freundin ist mit ihrem Freund zusammen gezogen und ich schenke ihr zum Einzug eine selbstgetöpferte Schüssel. Sie freut sich sehr – weil die Schüssel schön und selbstgemacht ist, aber vor allem, weil sie ein Zeichen ist: Ich freue mich, dass ihr diesen Schritt gewagt habt! Und ich wünsche euch, dass ihr das Leben in dieser Wohnung genießt, dass ihr es euch schön macht und dass ihr die Schüssel immer mit leckerem Essen füllt.

Tag 5. Liebessprache: Gemeinsam verbrachte Zeit

„Love shows up!“ – „Liebe taucht auf, wenn beim anderen was Wichtiges ansteht“ 22:30 Uhr. Ich komm platt vom Fitnessstudio, muss morgen früh raus und will deshalb schnell ins Bett. Da kommt mein Freund auf die Idee, noch schnell im Keller die Tischbeine für unseren neuen Tisch zu verleimen, damit er sie morgen an die Tischplatte schrauben kann. „Leistest du mir seelischen Beistand?“ fragt er. Na gut. Wenn’s denn sein muss. Ich war nicht besonders wach, aber ich war da …

Woche 5: Annette Penno verändert ihre Herzenshaltung

Dreiundsiebzig. Gefühlte dreiundsiebzig Mal hat sich meine Schwester bei mir bedankt, dass ich Ihre Hochzeit organisiert, bei der Hausrenovierung geholfen und den Umzug mitbewältigt habe. Jaaaha, man könnte also sagen, dass ich schon den ganzen Sommer über Nächstenliebe geübt habe! Aber ehrlich gesagt war das keine wirkliche … Challenge. Es hat mich nicht an meine Grenzen gebracht, mir nicht das Gefühl gegeben, etwas echt Großartiges gemeistert zu haben. Irgendwie wollte ich aber genau so etwas erleben.

Dann ging meine Waschmaschine im Keller kaputt. Blöderweise ist so ein Ding ziemlich teuer, netterweise gab‘s in meinem Bekanntenkreis jemanden, der eine abzugeben hatte. Also kamen zwei starke Helfer, um die beiden auszutauschen, wobei sich herausstellte, dass meine gar nicht kaputt war, sondern etwas mit dem Wasserzulauf aus der Leitung nicht stimmte. Vermietersache.

Also klingelte ich bei den Hauseigentümern, um sie zu informieren. Es war nur die Dame des Hauses zugegen – und die stürzte sich gleich in den Keller. Und dann auf mich. Und dann auf meine Helfer. Sie veranstaltete einen regelrechten Krawall, indem sie mit Beschimpfungen und Unterstellungen erst mir die Schuld für die Verschleißerscheinung gab und dann auch noch meine unbeteiligten Helfer maßregelte.

Ich war so empört, dass es mir die Sprache verschlug.

Als ich wieder zurück in meiner Wohnung war, meldete sich auch meine Sprachfähigkeit wieder zurück. Giftspritze, Ekelschleuder, Kackzicke, zischte ich vor mich hin. Mir fielen viele kreative Worte für sie ein. Und dann traf mich der Schlag: Da war sie doch, meine Herausforderung! Direkt vor meiner Tür. Genauer gesagt, einen Stock drunter.

Menschen zu lieben, die lieb zu einem sind, ist leicht. Das kann jeder. Aber Jesus hat ja nicht gesagt: Liebe die Menschen, die lieb zu dir sind, wie dich selbst. Sondern deinen Nächsten. Das schließt vermutlich auch den mit ein, der mir ans Bein pinkelt, ätzend zu mir ist, der so viele Probleme mit sich rumschleppt, dass er schwer zu ertragen ist. Denn genau der braucht Liebe. Annahme. Zuwendung.

Übersetzt für mich hieß das also: Liebe deine Vermieterin wie dich selbst.

Oha. Schwierig. Aber ich wollte ja die Herausforderung. Ich wusste nur nicht genau, wie ich es anfangen sollte. Liebte ich sie, indem ich ihr verletzendes Verhalten ignorierte? Oder wenn ich sie damit konfrontierte? Was genau bedeutete das, sie zu lieben? Hallo, Gott, was soll ich denn jetzt konkret tun?

Nachdem ich diese Fragen ein paar Tage lang mit mir rumgeschleppt hatte, wurde mir wieder klar: Liebe ist erst eine Herzenshaltung, bevor sie zu einer Handlung werden kann. Sonst kann ich auch Theater spielen. Also brauchte ich eine andere Einstellung zu ihr. Ich bat den Himmel um Hilfe – und merkte, dass meine Gedanken über sie versöhnlicher wurden: Wer weiß, was sie kurz vorher erlebt hatte. Vielleicht hatte sie einen besonders schlechten Tag. Mir tut‘s ja auch gut, wenn andere mir meinen Bockmist nicht nachtragen …

Als ich meine Vermieterin eine Woche später im Treppenhaus traf, flötete sie mir ein übertrieben freundliches „Schönes Wochenende für Sie!“ entgegen. Ich wusste immer noch nicht, was ich tun sollte, aber ich merkte, dass mein Herz weicher geworden war – die Wut war weg. „Danke, das wünsche ich Ihnen auch“, konnte ich ihr ehrlich entgegnen. Sie sah mich misstrauisch an: „Also, wenn Sie jetzt denken, dass ich Ihnen was unterstellen wollte … ich meine, ich muss doch mal fragen dürfen, was sie da gemacht haben …“

Ich musste lächeln. Sollte das womöglich eine Entschuldigung sein? Ich sagte: „Natürlich dürfen Sie das. Aber wenn ich das ehrlich sagen darf – ihr barscher Ton hat mich sehr irritiert. Sie haben ja sogar meine armen Helfer angegriffen …habe ich Sie vielleicht schon vorher mit irgendwas verärgert, dass Sie so ausfällig wurden? Dann können Sie mir das sagen. Sie können sicher sein: Wenn es mir möglich ist, dann komme ich Ihnen gerne entgegen …“

Jetzt war sie sprachlos. Eine Mischung aus Scham, Verwirrrung und Lächeln zog über ihr Gesicht. Dann ließ sie mich ohne weitere Erklärung stehen.

Ich vermute, Sie hört das nicht so oft, dass ihr Ton nicht so gut ankommt. Und ich vermute, sie hört das auch nicht so oft, dass ihr jemand einen Gefallen tun möchte. Ich weiß nicht, ob die Sache besser verlaufen wäre, wenn ich anders reagiert hätte. Aber ich weiß, dass mein Herz zurechtgerückt worden war und da mehr Liebe und Mitgefühl für sie drin war, als ich mir nach dem Vorfall hätte vorstellen können. Ich will versuchen, mir das für die nächsten Begegnungen mit ihr zu bewahren. Wer weiß, was dann noch passiert.

Aber was ich schon mal weiß, ist: Einen Menschen zu lieben, der nicht nett zu mir ist, verändert erst einmal mich selbst. Und das ist gut so.

Woche 6: David Bahne kämpft gegen sich und den Alltag

Day 1: Nächstenliebe Challenge. Gibt heute ja für alles ne Challenge. Langweilt mich. Aber Nächstenliebe: Das kann was. Wobei mich der Begriff auch langweilt. Weil ich ihn schon tausend Mal gehört habe. Weil ich Nächstenliebe wichtig finde, aber nicht, wenn sie krampfhaft wird. Und wie geht das überhaupt: Mehr Nächstenliebe? Den ganzen Morgen hat hier das Telefon geklingelt. Alle Telefonate wickle ich möglichst professionell ab. Ist das dann schon Nächstenliebe? Das Abgefahrene ist doch, dass ich versuche Christsein und Beruf strikt zu trennen. Sogar in einem christlichen Verlag. Weil ich das christliche, unprofessionelle Gemauschel nicht mag. Weil ich es schwierig finde, für Erfolg zu beten. Also denke ich über Nächstenliebe nicht besonders oft in einem professionellen Rahmen nach. Vielleicht fange ich erst einmal an und schreibe Nächstenliebe auf meine To-Do Liste. Das ist professionell und To-Do Listen mag ich.

Day 2: Heute habe ich mich gefühlte zwanzig Mal mit der netten Wurstfachverkäuferin hin-, und herbedankt. Das hatte aber nichts mit der Nächstenliebe Challenge zu tun, sondern das ist mein Stil. Dennoch denke ich, dass genau solche Kleinigkeiten die Welt verbessern. Einfach „Danke“ sagen. Oder einfach der Kassiererin einen wundervollen Tag wünschen. Und dabei kreative Ausdrücke verwenden, damit es nicht so eine Floskel bleibt. Manchmal merke ich richtig, wie überraschend das ist. Wenn man Leute richtig ansieht, anspricht, als Mensch sieht. Dann glänzen die Augen. Und es kommt doppelt wieder zurück. Hilfe. Das klingt so Klischeemäßig. Aber wahr ist es irgendwie trotzdem.

Day 3: Autofahren. Das ist für mich der absolute Nächstenliebekiller! Das geht gar nicht. Wie oft ich einfach unfassbar sauer werde und das auch nicht annähernd wirksam bekämpft kriege. Eigentlich voll unnötig. Rein rechnerisch bringt einem drängeln und schnell fahren und Ampeln bei dunkelgelb überfahren fast nichts. Die paar Minuten reißen einen meistens sowieso nicht mehr raus. Wenn es überhaupt ein paar Minuten sind. Es hilft mir, mir ab und zu selbst über die Schulter zu schauen, zu reflektieren: Was mache ich hier gerade eigentlich? Und dann zwei Mal tief durchzuatmen und sich zu denken: „Ich stehe nicht im Stau, ich bin der Stau.“ Und schon hat man wieder etwas mehr Verständnis für den Vollidioten, der das Gaspedal nicht findet… 😉

Day 4: Die Tage werden gerade immer stressiger bei mir. Das bedeutet meist auch, dass die Nächstenliebe wieder hinten runter fällt. Ich kenne das noch aus der Zeit als ich in der Gastronomie gearbeitet habe. Da habe ich als Serviceleiter meinen Mitarbeitern immer schon vor dem Event gesagt: „Leute, wenn es später knallt und richtig viel zu tun ist, dann bin ich nicht mehr sonderlich nett. Das ist nicht böse gemeint, aber dann müssen schnell Informationen zwischen uns fließen und dann bringt es nichts, wenn ich mich auch schön blumig äußere. Dann muss ich auch mal Befehle bellen und dann müssen Dinge auch mal funktionieren. Und zwar sofort.“ Insofern war diese Vorwarnung vielleicht schon Nächstenliebe, später war es dann meistens trotzdem ein knochenharter Job. Die Gastronomie ist nun mal leider auch nicht die Branche, in der Nächstenliebe als höchstes Gut zählt. Der Kunde soll zufrieden sein, der Rest und vor allem die Mitarbeiter – die sind da oft egal. Wie gut, dass ich jetzt im Verlagswesen sitze. Das ist viel ruhiger.

Day 5: Ist das schon mein letzter Tag? Zumindest mein letzter Arbeitswochentag. Das heißt natürlich nicht, dass ich jetzt wieder in meinen Alltagstrott verfalle. Aber die Challenge ist hier dann zu Ende. Heute hab ich nichts Bestimmtes erlebt. Doch, bestimmt, aber ich hab es einfach vergessen. Alles geht im Wust des Arbeitsstresses unter. Da komme ich doch einfach wieder zurück zu den vielen, vielen Kleinigkeiten. Sind euch schon mal die ganzen Obdachlosen in den Städten aufgefallen? Vielleicht nicht, vielleicht waren sie nervig für euch, vielleicht haben sie euch gestört mit Geruch, Aussehen oder Penetranz. Und trotzdem sind das Menschen. Die sich das auch mal anders vorgestellt haben. Denen es oft richtig, richtig dreckig geht. Die oft abhängig sind. Wisst ihr, was man am besten mit Obdachlosen macht? Ihnen guten Tag sagen. Sie fragen, wie es ihnen geht. Einen schönen Tag wünschen. Daraus haben sich für mich schon total spannende und tiefe Gespräche entwickelt. Manche waren auch echt komisch, aber auch das gehört zu Nächstenliebe dazu: Auch mal ertragen, was irgendwie unerträglich ist. Und wenn man gerade in den Supermarkt geht, einfach mal fragen, ob man was mitbringen kann. Wasser, Käse, Wurst, egal. Und selbst wenn ihr ihnen Geld gebt und denkt: „Toll, der/die haut das jetzt für Drogen/Alk/andere Scheiße drauf“… Trotzdem machen. Es zählt nicht, was diese Menschen mit dem Geld machen. Es zählt, dass ihr sie unterstützt, wie es nur geht. Und ich wiederhol mich da gerne: Es kommt auch alles irgendwann wieder zurück.