Lesertext| Der Sonderwunsch
Wir wünschen euch, dass ihr euch an teensmag beteiligt. Mit euren Texten, mit euren Gedichten, mit euren Erlebnissen, mit euren Fragen und Gedanken. Und weil nicht alles ins Heft passt, freuen wir uns sehr, dass wir eure tollen Beiträge auch auf unserer Website veröffentlichen können. Diesmal eine Geschichte von Julia. Es geht um den Tod und das Leben auf der Erde … Aber lest selbst!
Ganz schön weich so eine Wolke. Weicher als mein altes Federkissen und das Fell meines Hundes zusammen. Beinahe wie Zuckerwatte. So … fluffig.
Oh, hallo ihr.
Soll ich gleich starten? Ja? Okay.
Habt ihr euch schon einmal gefragt, wie es den Menschen um euch herum wohl geht, wenn ihr plötzlich nicht mehr da seid?
Ich meine nicht, ausgewandert, durchgebrannt oder von Marsmenschen entführt.
Ich meine tot.
Wenn ihr tot seid.
Habt ihr? Ich auch. Ein paar Mal. Vielleicht auch ein paar Mal mehr.
Früher. Da stellte ich mir vor, wer um mich trauern würde und fragte mich, wer zu meiner Beerdigung käme. Damals dachte ich, ich will keine schwarze Beerdigung. Ihr wisst, was ich meine, oder? Wenn auf Beerdigungen der Himmel selbst bei strahlendem Sonnenschein grau wirkt. Das wollte ich nicht. Dachte ich zumindest damals.
Jetzt ist das irgendwie anders, denn im Grunde sind Beerdigungen doch für die Lebenden.
Jetzt sitze ich hier und schaue hinab. Auf die Erde. Es ist lustig, denn ich kann von meiner Wolke alles genau sehen. Ein bisschen fühle ich mich wie Amor. Nur habe ich keinen Pfeil und Bogen. Die wollte man mir nicht geben.
Immerhin habe ich Glück. Dass sie mir den Sonderwunsch erfüllt haben: meine Familie und Freunde noch ein letztes Mal richtig sehen. Als Mensch. Mit menschlichen Gefühlen. Sie haben mir gesagt, dass es danach anders sein wird. Das hatte ich mir auch unten auf der Erde schon gedacht. Denn so steht es in dem dicken Buch. Aber wie schon gesagt. Jetzt sitze ich hier. Auf meiner Wolke. Ich glaube ich nenne sie Lucy. So wollte ich immer mein schneeweißes Pony nenne, als ich fünf war. Leider bekam ich nie eins.
Jetzt schweife ich doch schon wieder ab. Ihr müsst mich daran erinnern, ja? Nicht abzuschweifen. Das passiert mir manchmal. Also: Wie gesagt. Ich sitze auf Lucy und blicke hinunter auf die Erde. Ich kann meine Mutter sehen, sie rennt aus der großen Tür des Krankenhauses. Hinter ihr läuft mein Vater. Er versucht sie einzuholen und festzuhalten.
Sie reißt sich los. Ich kann sie schluchzen hören. In mir zieht sich etwas zusammen. Sie sagten mir schon, dass es nicht einfach wird. Am liebsten würde ich zu ihr hinunterschweben, sie in den Arm nehmen und ihr sagen, dass alles gut wird. Dass es mir gut geht.
Aber das darf ich nicht. Denn so funktioniert das nicht. Nach dem Tod. Ich sage extra nach dem Tod, denn ich bin zwar gestorben, aber ich bin nicht tot. Doch richtig lebendig bin ich auch noch nicht. Das kommt erst noch. Aber ich wollte ja hier sitzen und mich verabschieden.
Meine Mutter schlägt die Hände vor die Augen und rennt einen alten Opa im Rollstuhl über den Haufen. Er schimpft laut. Unhöflicher, alter Mann. Ich kreuze die Beine und sage Lucy, sie soll weiter schweben. Ich will meine Eltern so nicht sehen.
Ich will weinen, aber das kann ich nicht mehr. Da macht sich diese Art Zwischenwelt bemerkbar. Da macht sich bemerkbar, dass ich weder tot noch lebendig bin. Vielleicht fühlen sich so Vampire. Wenn es sie geben würde. Vielleicht fühlen sich so Geister. Wenn sie überhaupt fühlen. Ich schwebe weiter zu meinen Freunden. Ob sie es schon wissen?
Ich wünschte, sie würde es von mir erfahren, aber das wäre seltsam. Und wie gesagt: Kein Kontakt. Nur gucken. Ich wünschte ich könnte sagen, dass ich um die halbe Erde fliegen muss, um sie alle zu sehen. Aber das stimmt nicht. So viele sind es nämlich nicht. Einige wissen es noch nicht. Sie sitzen im Park auf einer Decke und lachen ausgelassen. Meine beste Freundin steht vor dem Kino und telefoniert. Hier wollten wir uns treffen.
Ihr Gesicht ist gerötet. Sie muss ziemlich sauer sein, dass ich so spät bin. »Hey«, will ich rufen. Aber aus meinem Mund dringt kein Wort. Die Zwischenwelt. Ach ja. Ein Wunder, dass ich hören und sehen kann. »Was? Wo ist sie? Geht es ihr …« Meine Freundin lässt das Handy sinken. Am liebsten würde ich mit Lucy wieder weg galoppieren. Sie weiß es. Sie hat es gerade erfahren. Sie schaut nach oben. Ich frage mich, ob sie mich sieht. Ich kann sie ganz deutlich hören, obwohl sie nur flüstert. Wenn überhaupt. Er muss es mich hören lassen: »Pass gut auf sie auf. Sie hat dich immer geliebt. Sag ihr, ich werde sie vermissen und sie soll auf mich warten.« Meine Augen schmerzen. Ganz furchtbar. Natürlich warte ich, denke ich.
Hoffentlich lange. Ich schaue nach oben. Meine Zeit ist gleich abgelaufen. Aber eine Person will ich noch sehen. Eine Person gibt es noch, von der ich mich verabschieden will. Eine Person, von der der Abschied ganz besonders schwer wird.
Ich weiß, dass er es noch nicht weiß. Was glaubt ihr, wie wird er es herausfinden? Über Facebook? Twitter vielleicht? Ich habe gar kein Twitter, fällt mir da ein. Vielleicht frage ich ihn einfach, wenn ich zu ihm komme.
Er ist draußen. Mit seinen ganzen Freunden. Mensch. Kennt ihr das auch? Diese eine Person, die so unglaublich viele Freunde hat? Keine Ahnung, wie die das schaffen. Ich meine, das muss doch furchtbar anstrengend sein. Jeder will immer etwas von dir. Nein, das wäre nichts für mich gewesen. Genau über ihm schwebe ich jetzt. Auf meiner Wolke. Sieht er sie? Vielleicht kann ich Lucy regnen lassen. Bitte, sieh mich. Bitte. Nur … Okay. Vielleicht hätte ich doch auf direktem Wege abtreten sollen. Das hier ist schrecklich. Ich will sein Gesicht noch einmal sehen. Bitte, sieh mich. Bitte. Wenn Lucy doch nur …
Holla die Waldfee. Was zum … Hey, sachte Lucy. Sachte. Hallo! Hör doch auf so zu wackeln. Sonst fall ich noch hinunter. Unglaublich diese Wolke! Sie wackelt hin und her und her und hin und …
Ich blicke wieder hinunter und sehe, wie er überrascht zur Seite springt. Irgendwie regnet es plötzlich. Doch nur da, wo er stand. Nur da, wo ich schwebe. Ich schaue Lucy an. Sie schüttelt sich und weint ganz furchtbar.
Ich danke ihm.
Es ist, als könnte ich ihn »bitte« sagen hören.
Jetzt sieht er mich doch. Das heißt, nicht mich, aber Lucy. Ich kann hören wie er entsetzt fragt, was vor sich geht. Wieso nur eine einzige Wolke regnet. Er flucht ein wenig. Ich muss lächeln. Dann ist meine Zeit um. Lucy löst sich auf und ich stehe wieder in dem hellen Raum.
Na ja, es ist kein Raum, wisst ihr. Es ist mehr so eine … unglaubliche Helle, die … Ich kann es nicht wirklich beschreiben. Stellt euch eine riesige, milchig glitzernde Seifenblase vor. Und ich stehe darin.
Vor mir steht auch jemand. Kein jemand. Mehr ein Etwas, würdet ihr sagen. Aber es ist jemand. Jemand lebendiges. Das kann ich sehen.Und er sieht mich an, das kann ich spüren. Und ich lächle und sage: »Ich bin bereit.« Und als er auf mich zu kommt und mich am Arm fasst, da wird mir warm. Ganz war. Kennt ihr das, wenn ihr nach einem kalten Tag auf dem Weihnachtsmarkt nach Hause kommt und euch vor die Heizung stellt und heißen Kakao schlürft? So fühlt es sich an. Nur noch viel besser. Ich schließe die Augen und atme aus.
Und dann höre ich unglaublich schöne, laute Geräusche. Harfen und Geigen würdet ihr es vielleicht nennen. Aber es stimmt nicht ganz. Es klingt viel schöner. Und ich sehe tausende, weiße – nicht Leute, auch nicht Körper, ich nenne sie einfach mal Engel. Ich sehe tausende, weiße Engel die mich alle begrüßen. Freudig und tanzend. Ich versuche mich an etwas Schlechtes zu erinnern. Etwas, das mir früher einmal das Herz gebrochen hat. Doch ich weiß nichts mehr. Da ist nichts. Ich weiß noch, wie ich mich fühlte als er mir nicht antwortete, aber ich verstehe es jetzt. Und es tut nicht mehr weh. Ich gehe durch die Reihen voller Engel und lasse mich von ihnen berühren. Jetzt werden sie mir mein neues Heim zeigen.
Mein ewiges Heim.
Meinen Platz in seinem Haus.
Ich will ihn sehen.
Ich schaue mich um, ich sehe so viel verschiedenes. Alle Engel sind verschieden. Nichts ist gleich. Alles ist individuell perfekt und schön. Der Boden über den ich beinahe schwebe ist aus Gold. Aber es ist egal. Denn Gold ist hier nichts wert. Die kleinen Mauern an den Seiten sind aus Diamanten. Aber keiner kümmert sich darum. Denn Diamanten sind hier unbedeutend. Ich halte nach ihm Ausschau. Ich gehe langsam und dann sehe ich es. Ihn. Was auch immer.
So imposant, so mächtig und so gut, dass mein Herz einen riesigen Satz macht und ich nichts als pure, unglaubliche Freude empfinden kann. Zuerst bahnt sich mein Bruder – Jesus heißt er – einen Weg durch die Menge. Die Engel machen ihm bereitwillig Platz. Alle strahlen ihn an.
Er scheint so unglaublich hell. Ich renne ihm entgegen und werfe mich in seine Arme. Zumindest müsst ihr es euch so vorstellen. Denn hier ist alles ein wenig anders. Ich werfe mich also in seine Arme und er hält mich ganz feste. Er streicht mir übers Haar und redet mit mir. Er sagt mir wie froh er ist, dass ich da bin. Er sagt mir, wie sehr er mich liebt.
Ich sage ihm, dass ich ihn auch liebe. Doch dann lässt er mich los. Ich weiß sofort warum. Ich spüre ihn. Wäre ich noch ein Mensch, so würde ich augenblicklich auf die Knie fallen. Aber das brauche ich nicht mehr. Ich kann hier stehen. Und ihn sehen. Und mich freuen und sprühen vor Glück. Ich kann wieder rennen. Ich bleibe vor ihm stehen. Er nimmt meine Hand.
Ich lächle. Alles in mir, an mir, von mir lächelt.
»Vater«, flüstere ich.
»Ja«, antwortet er.
_Julia N.
Super Geschichte! Danke!!!!
Macht mir Mut, mehr Mut als ich gebraucht hätte 😀
Diese unfassbare Liebe …
WOW!!! Der Text ist echt klasse!
Er hat mir total Mut gemacht und mir auch voll geholfen.
Er hat dierekt in meine Situation gesprochen und es war für mich wie eine Antwort von Gott!!!
DANKE
Ein toller Text er hat mir Mut gemacht und der Text ist wirklich wunderschön!
Auch von mir Danke ! <3
Sehr schön geschrieben und sehr mutmachend. Danke <3